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Lernpartnerschaften

Das Free Dictionary spricht bei Partnerschaft von einer “Beziehung zwischen Einrichtungen […] zum gegenseitigen Vorteil”. Das ist bei gleichberechtigten Partnern fraglos sinnvoll und wünschenswert. Bei den Lernpartnerschaften des KURS-Projektes (Kooperationsnetz Unternehmen der Region und Schulen) sollte man jedoch kritischer hinter die Kulissen schauen. Schließlich bewegen sich Schulen und Unternehmen eben nicht auf Augenhöhe…

Was ist KURS?

Im Jahr 1999 starteten die Industrie- und Handelskammern Aachen, Bonn und Köln in Kooperation mit der Bezirksregierung Köln als Träger das Kooperationsnetz Unternehmen der Region und Schulen (KURS), um Schüler als potenzielle Arbeitnehmer mit den Unternehmen als potenzielle Arbeitgeber zusammenzubringen. Im Jahr 2005 stieg zusätzlich die Handwerkskammer zu Köln ins Projekt mit ein.
Seitdem finden sich im Regierungsbezirk Köln in den Schulämtern aller 11 Kreise und kreisfreien Städte sogenannte KURS-Basisbüros, die weiterführende Schulen und Unternehmen bei der Organisation von Lernpartnerschaften unterstützen.
Derzeit existieren im gesamten Regierungsbezirk etwa 500 dieser Lernpartnerschaften, davon in der Städteregion Aachen aktuell 48 (Stand: 03.11.2012, Quelle; Update Stand 16.12.2016: nicht mehr veröffentlicht) .
Die Unternehmen können sich den Schülern ihrer Partnerschule präsentieren, dafür erhalten sie Einsicht in die Lehrpläne und können den Unterricht mit ihrer Erfahrung praxisnah aufwerten.

Wirtschaft und Schule

Prinzipiell finde ich die Idee gut, dass Jugendliche sich in der Schule über Wirtschaft, Unternehmen sowie Chancen, Möglichkeiten und Risiken im Arbeitsleben informieren können. Die Lehrpläne sind dahingehend sehr ausführlich, umfangreich und decken (bis auf alternative Wirtschaftsansätze wie z. B. PROUT, BGE oder Regionalgeld) weite Teile von Politik und Wirtschaft ab. Letztendlich bewegt sich Schule ja nicht im luftleeren Raum, sondern soll auch auf ein bestenfalls gedeihliches Arbeitsleben vorbereiten (wobei ich Arbeit in diesem Zusammenhang explizit nicht auf den neoliberalen Wachstums- und Leistungsfetisch reduziere; ein leider unbezahltes Ehrenamt im Hospiz halte ich für sinnstiftendere Arbeit, als z. B. von Steuergeldern finanziert ALG-II-Beziehern hinterherzuspionieren). Gleichwohl ist das nur ein kleiner Teilaspekt. Schulen sind nicht primär dazu da, devote Arbeitnehmer und unkritische Konsumenten zu  entlassen.
Wenn man also die Lehrpläne konsequent und aufgeschlossen im Unterricht anwendet, dann ständen wir doch eigentlich gut da…

Befremdliches

Da nun aber seit mehr als 17 Jahren vorzugsweise privatwirtschaftliche Unternehmen am Schulalltag teilhaben, scheint das mit den Lehrplänen wohl doch nicht so wirklich gut zu funktionieren.

Die Koordination

Ein einziges Unternehmen, das Institut Unternehmen & Schule GmbH, koordiniert in seinem Bonner KURS-Zentralbüro die Träger und die regionalen Kooperationsnetze. Die Webpräsenz schweigt sich darüber aus, wem gegenüber diese Firma Rechenschaft ablegen muss. Darüber hinaus wirbt das Unternehmen offen damit, “die Unternehmen deutschlandweit zum Gegenstand des Unterrichts zu machen, deren Image bei der jugendlichen Zielgruppe zu verbessern und deren Interesse an den Berufen und Tätigkeiten unserer Unternehmenspartner zu wecken”. Dieses Unternehmen verdient also Geld damit, anderen Unternehmen PR-Kampagnen an Schulen zu ermöglichen.
Als bedenklich empfinde ich auch das Unterrichtsmaterial, mit dem das Institut die Projekte unterfüttert: Für Aachen stellt es z. B. eine Erweiterung des KURS-Konzeptes mit dem KURS-Thema Region Aachen: „Arbeit im Wandel” (PDF, 585 kB) zur Verfügung. Grundtenor: Fachkräftemangel. Natürlich, ohne zunächst einmal Stimmungs- und Sachlage kritisch zu hinterfragen…
Ich bin tatsächlich erstaunt, dass einerseits dieses Projekt nicht in Landeshand liegt und andererseits, dass diese Firma trotz ihrer erstaunlich offenen Werbeaussage immer noch federführend im Projekt aktiv sein darf. Überwältigungsverbot im Beutelsbacher Konsens, anyone?

Eine Schule – ein Unternehmen

Pro Schule gibt es einen Bildungspartner. Der Sinn dieser Einschränkung leuchtet mir nicht ein. Es muss doch im Interesse aller liegen, dass bei so einem Projekt der Freiheitsgrad maximal ist. Was spricht dagegen, abseits des geschützten schulischen Raumes ein kontrolliertes Forum zu schaffen, in dem sich die Unternehmen allen(!) Schülern und ohne PR-Keule präsentieren? Oh, gibt es schon: Ende Mai 2017 findet in Aachen wieder die Berufs- und Studienmesse statt. Da darf man als Unternehmen aber eben keinen Einblick in oder Einfluss auf den Schulunterricht nehmen…

Die Unternehmen

Vielfalt ist wichtig: Von klein- und mittelständischen Unternehmen über Konzerne bis hin zu Verwaltung, soziale und kirchliche Einrichtungen sowie Bundeswehr ist bei KURS alles vertreten.
Dabei birgt das 1-zu-1-Konzept erhebliches Konfliktpotenzial: Was, wenn die Eltern erklärte Pazifisten sind, der Lernpartner aber die Ausbildungswerkstatt des Heeres bei der Fachschule des Heeres für Technik ist? Wollen Contergan-Opfer ihre Kinder auf eine Schule schicken, deren Lernpartner die betreffende Pharmafirma ist und auf der die Unterrichtsinhalte womöglich durch die pharmazeutische Industrie gefärbt sind?
Dieses Konzept erscheint mir extrem unglücklich…

Thematisierung im Unterricht

Thematisieren die Lehrer im Unterricht, welche hidden agenda hinter der Initiative steckt (oder zumindest stecken könnte)? Es erinnert mich an eine Situation, bei der mich weiland drei Schülerinnen auf der Straße ansprachen und fragten, was ich von ihrer Geschäftsidee halten würde. Sie beteiligten sich an einem Schulprojekt, das – gesponsort von einer großen, internationalen Unternehmensberatung – die wirtschaftliche Kompetenz der Schüler steigern sollte. Jetzt würden sie die notwendige Konsumentenbefragung durchführen. Darauf angesprochen, ob sie denn wüssten, womit sich die Unternehmensberatung sonst so beschäftigt und welche Wirtschaftspolitik sie vertritt, ob sie sich vorstellen könnten, warum die Unternehmensberatung viel Geld für großangelegte Projekte ausgebe und ob sie ihr Produkt, wenn es in Asien gefertigt würde, auch teurer machen würden, wenn die Arbeits- und Umweltbedingungen stimmen, erntete ich nur verständnislose Blicke…
Natürlich ist es nicht von sich aus schlecht, wenn solche Projekte stattfinden. Nur muss man sie im Unterricht auch kritisch hinterfragen, unabhängig von der Projektarbeit und abseits von der Jagd auf gute Noten! Das gehört auch zur Urteilskompetenz der Schüler, wie sie das Ministerium für Schule und Weiterbildung in NRW in seinen Kernlehrplänen so vollmundig fordert.
Doch wer soll das im Unterricht kritisch hinterfragen? Schulpolitiker und Verwaltungsbeamte, die dankbar sind, dass Unternehmen für ordentliche Publicity sehr gerne die klammen Regierungskassen schonen? Lehrkräfte, die selber durch Weiterbildungen für solche Angebote konditioniert werden? Eltern, die die Erziehung ihrer Kinder an eben diese Lehrer abgeben, ansonsten aber natürlich kein Problem darin sehen, dass diese Projekte ihre Lieben so früh wie möglich an die Leistungsgesellschaft™ heranführen? Kinder, die entweder eh keine Perspektiven sehen oder bereits – auch und gerade wegen der Umstellung auf G8 – erste Anzeichen von Burn-Out zeigen? Letztere sind schon froh, wenn sie mal einen Tag am Wochenende nicht lernen oder Hausaufgaben machen müssen und einfach mal abhängen können. Ihre Hobbys haben eh schon viele drangegeben, um in der Schule nicht den Anschluss zu verlieren…

Fazit

Seit über 17 Jahren nehmen in NRW Unternehmen über das KURS-Konzept Einfluss auf schulische Inhalte, kritiklos gedeckt durch Bezirksregierung, Schulen und Gesellschaft. Die Kammern überschlagen sich in ihren Pressemeldungen, wenn sich eine weitere Lernpartnerschaft gegründet hat. Die Medien berichten, wenn überhaupt, nur gefällig. Die Warnungen von LobbyControl zu Lobbyismus an Schulen verhallen ungehört.
Generell bekomme ich Magengrimmen, wenn Unternehmen ihre pädagogische Ader entdecken. Eine Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Schule muss zwingend transparent, wenn möglich sogar unter Aufsicht einer unabhängigen Experten-Kommission erfolgen und zu jedem Zeitpunkt kritisch hinterfragt werden. Es gilt, die Schwächeren – also die Schüler – zu schützen. Auch das ist das Wesen eines Sozialstaates.
Wenn wir es darauf anlegen würden, dass die Jugendlichen ihre Schulen als mündige und kritische Bürger verlassen, dann hätten wir diese Probleme vermutlich nicht: Ein Unternehmen, das in Asien als Umweltsau und Sozialrabauke auftritt, dürfte dann wohl einen sehr schlechten Stand bei den Schülern haben (und auch sonst sehr schnell von der Bildfläche verschwinden).
Ich mag mich irren, aber das KURS-Konzept scheint mir dringend überarbeitungsbedürftig zu sein, trotz oder gerade wegen der Tatsache, dass es bereits über 17 Jahre lang läuft. Irgendwann hinterfragt man solche Selbstläufer einfach nicht mehr.