Wir fordern von der nächsten Bundesregierung, dass wir in Aachen selbst und frei entscheiden können, wo wir innerorts Tempo 30 anordnen können. Für uns geht es dabei natürlich um Sicherheit und um Umweltschutz. Aber vor allem geht es uns um die Frage, was in einer Großstadt Vorrang hat, die PKW oder die Menschen? Wer muss sich unterordnen? Für wen planen, bauen und optimieren wir unsere Stadt?
Der Mensch geht vor
Unser Verständnis von Urbanität sieht die Stadt an erster Stelle als Lebensraum für tausende Menschen, die hier auf engem Raum zusammenleben, weil das sehr sozial, sehr vielfältig und sehr effizient ist. In diesem Kontext ist Verkehr eine Notwendigkeit und ein Bedürfnis, das möglichst verträglich abgewickelt werden sollte. Die Großstadt bietet dabei mit ihrer hohen Dichte und Vielfalt für viele Bedürfnisse den Vorteil, dass man diese gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen kann. Außerdem lohnt es sich Massenbeförderungsmittel wie Gelenkbusse oder Straßenbahnen einzusetzen. Das macht für uns urbanen Verkehr aus, man braucht den PKW seltener als außerhalb einer Großstadt.
Aber auch der PKW wird gebraucht, von Wirtschaftsverkehr, Müllabfuhr, Feuerwehr und Ähnlichem ganz zu schweigen. Die Utopie einer Stadt ohne Autos erscheint uns heute nicht machbar.
Die Argumente
So bleibt die Frage, wie finden wir den Ausgleich zwischen Verkehr und Lebensqualität vor Ort? Dafür haben wir einmal gegenübergestellt, was Tempo 50 bringt und was Tempo 30:
- Tempo 50
- Schnell und leistungsfähig (MIV, Bus)
- Weniger Emissionen (näher am optimalen Arbeitspunkt der Verbrenner)
- Einheitlichkeit (Tempo 50 im Stadtgebiet gilt im ganzen Land)
- Tempo 30 nach Bedarf fast überall möglich und umgesetzt
- Tempo 30
- Sicherheit
- Weniger Emissionen (besonders Lärm / e-Fahrzeuge)
- Einheitlichkeit (Tempo 30 in ganz Aachen)
- Tempo 50 auf Hauptverkehrsstraßen weiterhin möglich.
- Urbanes Leben
Argumente wie “Tempo 50 macht einfach mehr Spaß” oder “Stau ist doch gut, dann ärgern sich die Autofahrer*innen” haben es nicht in die Aufzählung geschafft, weil die für uns keine Wege sind, die wir politisch beschreiten wollen. Aber schauen wir uns die Argumente einmal im einzelnen an:
Schnell und leistungsfähig
Ja, wenn Ich 50 km/h fahren darf, werde Ich damit im Schnitt schneller sein, als wenn Ich mich an 30 km/h halte. Damit nimmt auch die Anzahl an Fahrzeugen zu, die in einer festen Zeitspanne eine feste Strecke passieren können, die Strecke wird Leistungsfähiger. Aber eine Stadtstraße ist keine Autobahn und keine Landstraße sondern immer Teil eines engen Netzes aus Kreuzungen, die es selten ermöglichen, dass man einfach mit Höchstgeschwindigkeit durchfahren kann. Gerade auf den Radialen, den großen Zufahrtsstraßen nach Aachen, lässt sich aber oft eine grüne Welle schalten. Hier gilt das Argument zu Geschwindigkeit und Leistungsfähigkeit mit weniger Einschränkungen, diese Straße erfordern also im Zweifel eine besondere Betrachtung.
Auch der ÖPNV muss sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten. Im Stadtverkehr “schwimmt” der Bus in den PKW mit, wenn diese nicht fließen, bewegt sich auch der Bus nicht. Es sei denn der ÖPNV hat seine eigenen Trasse. Genau diese Trassen sind aber ohnehin nötig, um unseren Anforderungen den ÖPNV als Rückgrat des Verkehrs gerecht zu werden. Entsprechend gehen wir davon aus, dass der ÖPNV in Zukunft weniger beschränkt wird durch den allgemeinen Verkehrsfluss als heute. Dieses Argument wird also an Relevanz verlieren.
Sicherheit
Tempo 30 ist offenbar sicherer als Tempo 50, weil Bremsweg und Kraftübertragung beim Aufprall beide sehr ungünstig von den zusätzlichen 20 km/h beeinflusst werden. Dazu gibt es zahlreiche Studien und Tempo 30 kann tatsächlich heute schon vor Schulen, Heimen, Kindergärten und Ähnlichem für die Sicherheit angeordnet werden.
Eine Einschränkung hat dieses Argument nur dadurch, dass wir heute durch Verkehrsinfrastruktur und -regeln einiges dafür tun, dass Verkehr auch bei Tempo 50 sicherer wird. LKW, die innerstädtisch rechts abbiegen, müssen dies (eigentlich) in Schrittgeschwindigkeit tun. Kreuzungen und Hauptverkehrsstraßen, die nach Radentscheid umgebaut werden, bieten Schutz für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen. Technische Lösungen wie Abbiegeassistenzsysteme, werden absehbar eine hohe Verbreitung finden.
Das Argument der Sicherheit wird also mit der Zeit ein wenig an Relevanz verlieren. Aus unserer Sicht aber wirklich nur ein wenig, weil jede Person, die im Straßenverkehr zu Tode kommt, eine zu viel ist. Tempo 30 wird immer einen Sicherheitsvorteil gegenüber Tempo 50 bieten.
Emissionen
Das Thema Emissionen ist mithin das vielschichtigste in dieser Debatte. Zum einen müssen wir unterscheiden zwischen globalen Emissionen, im wesentlichen der CO2-Ausstoß, der zum Antrieb der Fahrzeuge nötig ist und lokalen Emissionen wie Lärm, Feinstaub und Stickoxide. Zum anderen sind diese Emissionen unterschiedlich von der gefahrenen Geschwindigkeit abhängig. Als drittes unterscheiden sich diese Abhängigkeiten nochmal erheblich nach Antriebsart.
Ein PKW mit Verbrennungsmotor fährt sehr vereinfacht gesagt effizienter je höher der Gang und je niedriger die Drehzahl also grob geschätzt dann, wenn man gerade im höchsten Gang fahren kann. Das ist schneller als Tempo 50 und wesentlich schneller als Tempo 30, was teilweise dazu führt, dass ein PKW für eine feste Strecke weniger Treibstoff (und damit CO2-Ausstoß) braucht, wenn man 50 km/h fährt als mit 30 km/h. Luftwiederstand hat zumindest bei PKW in diesem Bereich oft zu wenig Einfluss auf den Energieaufwand, um das Verhältnis umzukehren. Für Verbrenner kommt der Ausstoß von Schadstoffen in Abgasen hinzu. Lokal betrachtet skaliert die Belastung allerdings mit der Anzahl der Fahrzeuge, weswegen ein ruhigerer Verkehr bei Tempo 30 heute schon in Aachen zur Luftreinhaltung genutzt wird.
Auch Lärm ist eine Emission und wir leider bisher zu wenig beachtet. Motorisierte Fahrzeuge erzeugen Lärm in der Stadt im wesentlichen durch Roll-, Wind- und Motorengeräusche. Motorengeräusche sind ähnlich dem Kraftstoffverbrauch stark von der Drehzahl des Motors abhängig und damit weniger klar auf die Geschwindigkeit zurückzuführen. Wind- und Rollgeräusche hingegen hängen stark und direkt von der Geschwindigkeit ab, werden aber in der Stadt oft von den (teilweise unnötig hohen) Motorengeräuschen übertönt.
Das Bild ist also unklar, denn sowohl Tempo 30 als auch Tempo 50 bringen bei unterschiedlichen Emissionen mehr oder weniger Vorteile. Dieser Satz gilt aber nur solange ein Verbrennungsmotor das Fahrzeug antreibt.
Sobald wir einen Elektromotor verwenden, fallen alle Vorteile von Tempo 50 bei Emissionen weg. Elektromotoren haben auf Grund der Bauart keinen Vorteil davon schneller als Tempo 30 oder gar Tempo 50 zu fahren, die Motorengeräusche sind vernachlässigbar und der lokale Schadstoffausstoß beschränkt sich auf Reifenpartikel. Dafür übernehmen Roll- und Windgeräusche, sowie Luftwiderstand plötzlich dominierende Positionen und die hängen alle mindestens linear von der Geschwindigkeit ab.
Wir wollen den Verkehr in Aachen elektrifizieren. Wir wollen das Verbrenner nach und nach an Bedeutung verlieren und nach 2025 nur noch in Ausnahmen in der Stadt verkehren. Wir müssen also für einen Verkehr planen, dessen CO2-Ausstoß, Lärm- und Schadstoffbelastung jeweils deutlich geringer bei Tempo 30 ausfällt.
Einheitlichkeit
Dinge kohärent und gleichförmig zu gestalten hat unterschätzte Vorteile. Wir setzt bei der Verkehrsplanung oft auf den Grundsatz der Einheitlichkeit, damit ähnliche Situationen immer auf die gleiche Art funktionieren. Das führt einerseits dazu, dass mehr Leute die Verkehrsregeln beachten, weil man sich weniger merken muss. Andererseits verringert sich der Stress und die Unfallgefahr, weil gut vorherzusehen ist, wo gerade andere Verkehrsteilnehmer*innen auftauchen können und wie diese sich wohl verhalten werden.
Bisher gilt in allen Deutschen Städten Tempo 50, das muss man nicht weiter ausschildern, ein Ortsschild reicht, alle wissen Bescheid. Das aufzugeben ist ein Schritt weg von Einheitlichkeit, plötzlich funktioniert das Ortsschild in Aachen anders als in Bielefeld.
Auf der anderen Seite gilt zwar in Aachen, wie in jeder Stadt heute Tempo 50, nur das eben die meisten Straßen entweder ein Streckengebot von Tempo 30 haben oder gleich Teil einer Tempo-30-Zone sind. Einheitlich ist das nicht und aufwändig auszuschildern obendrein.
Größer gefasst, könnte man auch die bundesweite Einheitlichkeit mit Tempo 30 wiederherstellen. Die geforderte Möglichkeit, dazu lokale Regeln erlassen zu dürfen, zielt eher darauf ab die Veränderung behutsam einzuführen. Eine bundesweite Vorschrift von Tempo 30 mit der Möglichkeit weiterhin auf einzelnen Strecken Tempo 50 zu erlauben, vereint den Vorteil von Einheitlichkeit mit der Option zunächst nichts vor Ort zu ändern.
Aber das geht doch schon/weiterhin!
Bei der Debatte um dieses Thema geht oft verloren, dass Tempo 30 heute schon auf fast jedem Kilometer Straße in Aachen die Höchstgeschwindigkeit ist. Die Veränderung die wir anstreben betrifft nur wenige Straßen. Bei diesen Straßen haben wir aber heute oft das Problem, dass diese durch Wohngebiete führen, Fahrbahnrandparken aufweisen oder aus anderen Gründen von den Verkehrspolitiker*innen im Mobilitätsausschuss eigentlich als Tempo 30 Strecke gesehen werden. Diese Einschätzung kann aber nicht umgesetzt werden, weil die Straße klassifiziert ist und der Gesetzgeber nur wenige Ausnahmen von Tempo 50 zulässt.
Auf der anderen Seite gilt dieses Argument natürlich in beide Richtungen. Denen, die hier ihr Fahrvergnügen bedroht sehen, sei ein Blick in den Aachener Schilderwald empfohlen, denn viele Tempo 50 Kilometer verlieren sie nicht. Es sind aber natürlich gerade die viel befahrenen Straßen, die heute noch Tempo 50 haben, die also überproportional viel Verkehr führen. Sie bieten damit auch bei verhältnismäßig wenig Strecke immer noch einen Hebel für die oben genannten Effekte.
Urbanes Leben
Das letzte Argument ist wohl das politischste. Tempo 30 ist aus unserer Sicht deutlich verträglicher für eine Stadt, die zuerst Lebensraum für ihre Bewohner*innen ist. Das fasst natürlich einerseits zusammen, was durch Sicherheit und Emissionen schon beschrieben wurde, geht aber darüber hinaus ins Grundsätzliche. Wem gehört die Stadt und wer ist hier zu Gast?
Die Ordnung des Straßenverkehrs in Deutschland schiebt alle und alles andere an den Rand, um Platz für den motorisierten Verkehr zu schaffen. Zwischen Gehwegen, die oft nicht einmal die Mindestbreite erreichen, spannend sich meterweite Asphaltflächen auf, auf denen der längere Aufenthalt für Menschen (ohne Fahrzeug) untersagt ist. Der Mensch ist hier zu Gast in einer Welt für die Autos. Die klare Regelung hat durchaus ihre Vorteile, gerade weil Verkehr sich nur mischen lässt, solange die Geschwindigkeiten nah bei einander liegen und die Verkehrsfläche nicht ausgelastet wird.
Doch unser Ziel ist es eine Stadt für die Menschen zu schaffen, wo das Leben Vorrang hat und der Verkehr sich öfter mal unterordnen muss. Dieses Ziel erfordert, dass sich das Bild davon, wofür unsere Stadt da ist, in den Köpfen ändert. Es reicht nicht, dass man das Ortsschild passiert und von 100 oder 70 auf 50 km/h bremst. Wir brauchen ein Verständnis dafür, dass man im PKW hier zu Gast ist, dass das eigenen Vorankommen hier nicht an erster Stelle stehen kann.
Für diese Erkenntnis ist eine Höchstgeschwindigkeit von Tempo 30 in der Stadt ein wichtiger Baustein, weil sie deutlich macht für wen die Stadt da ist. Natürlich muss ein solcher Wechsel sich fortsetzen in die Quartiere, wo die Straßen nur erschließen aber keinen Verkehr durchleiten sollen. Hier bieten sich Tempo 20 oder verkehrsberuhigte Bereiche an. Und die Stadtteilzentren sollten mit Fußgängerzonen und Grünfläche zum Flanieren und Verweilen einladen.
Fazit
Am Ende steht hier eine Abwägung zwischen Geschwindigkeit und Leistungsfähigkeit auf der einen sowie Sicherheit, Emissionsschutz und unser Ziel von urbanem Leben auf der anderen Seite. Es ist richtig, dass hierzu eine Debatte geführt wird und die Vor- und Nachteile realitätsnah diskutiert werden. Für uns gewinnen hier der Schutz von Mensch und Umwelt vor allem aber unsere Vision von einer Stadt als Lebensraum.
Eine Einschränkung hat das allerdings und die bezieht sich auf radiale Hauptverkehrsstraßen nach Hauptverkehrsstraßennetz der Stadt Aachen. Wir wollen auf diesen Strecken zunächst Tempo 50 beibehalten, sofern das heute die Höchstgeschwindigkeit ist und kein Fahrbahnrandparken existiert. Die Tempo 50 Strecken sollen aber explizit als Ausnahme ausgeschildert werden, auch damit man an allen anderen Straßen auf die Beschilderung mit Tempo 30 verzichten kann.
Zudem erwarten wir, dass ähnlich dem Hauptverkehrsstraßennetz für den motorisierten Verkehr auch ein Haupt-ÖPNV-Netz und ein Hauptradverkehrsnetz festgelegt wird, um möglichst viel Verkehr dort zu bündeln. Wir garantieren, dass die Stadt Aachen für alle erreichbar bleibt und wird. Aber diese Bedingung muss gleichrangig neben der Bedingung stehen, dass der notwendige Verkehr möglichst verträglich abgewickelt wird. Dieses Ziel erreichen wir nur durch weniger PKW.
Weitere Informationen
Ratsinformationssystem zum Hauptverkehrsstraßennetz: https://ratsinfo.aachen.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=17262
VCD zu Tempo 30: https://tempo30.vcd.org/informieren.html
Wir fordern von der nächsten Bundesregierung, dass wir in Aachen selbst und frei entscheiden können, wo wir innerorts Tempo 30 anordnen können. Für uns geht es dabei natürlich um Sicherheit und um Umweltschutz. Aber vor allem geht es uns um die Frage, was in einer Großstadt Vorrang hat, die PKW oder die Menschen? Wer muss sich unterordnen? Für wen planen, bauen und optimieren wir unsere Stadt?
Der Mensch geht vor
Unser Verständnis von Urbanität sieht die Stadt an erster Stelle als Lebensraum für tausende Menschen, die hier auf engem Raum zusammenleben, weil das sehr sozial, sehr vielfältig und sehr effizient ist. In diesem Kontext ist Verkehr eine Notwendigkeit und ein Bedürfnis, das möglichst verträglich abgewickelt werden sollte. Die Großstadt bietet dabei mit ihrer hohen Dichte und Vielfalt für viele Bedürfnisse den Vorteil, dass man diese gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen kann. Außerdem lohnt es sich Massenbeförderungsmittel wie Gelenkbusse oder Straßenbahnen einzusetzen. Das macht für uns urbanen Verkehr aus, man braucht den PKW seltener als außerhalb einer Großstadt.
Aber auch der PKW wird gebraucht, von Wirtschaftsverkehr, Müllabfuhr, Feuerwehr und Ähnlichem ganz zu schweigen. Die Utopie einer Stadt ohne Autos erscheint uns heute nicht machbar.
Die Argumente
So bleibt die Frage, wie finden wir den Ausgleich zwischen Verkehr und Lebensqualität vor Ort? Dafür haben wir einmal gegenübergestellt, was Tempo 50 bringt und was Tempo 30:
Argumente wie “Tempo 50 macht einfach mehr Spaß” oder “Stau ist doch gut, dann ärgern sich die Autofahrer*innen” haben es nicht in die Aufzählung geschafft, weil die für uns keine Wege sind, die wir politisch beschreiten wollen. Aber schauen wir uns die Argumente einmal im einzelnen an:
Schnell und leistungsfähig
Ja, wenn Ich 50 km/h fahren darf, werde Ich damit im Schnitt schneller sein, als wenn Ich mich an 30 km/h halte. Damit nimmt auch die Anzahl an Fahrzeugen zu, die in einer festen Zeitspanne eine feste Strecke passieren können, die Strecke wird Leistungsfähiger. Aber eine Stadtstraße ist keine Autobahn und keine Landstraße sondern immer Teil eines engen Netzes aus Kreuzungen, die es selten ermöglichen, dass man einfach mit Höchstgeschwindigkeit durchfahren kann. Gerade auf den Radialen, den großen Zufahrtsstraßen nach Aachen, lässt sich aber oft eine grüne Welle schalten. Hier gilt das Argument zu Geschwindigkeit und Leistungsfähigkeit mit weniger Einschränkungen, diese Straße erfordern also im Zweifel eine besondere Betrachtung.
Auch der ÖPNV muss sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten. Im Stadtverkehr “schwimmt” der Bus in den PKW mit, wenn diese nicht fließen, bewegt sich auch der Bus nicht. Es sei denn der ÖPNV hat seine eigenen Trasse. Genau diese Trassen sind aber ohnehin nötig, um unseren Anforderungen den ÖPNV als Rückgrat des Verkehrs gerecht zu werden. Entsprechend gehen wir davon aus, dass der ÖPNV in Zukunft weniger beschränkt wird durch den allgemeinen Verkehrsfluss als heute. Dieses Argument wird also an Relevanz verlieren.
Sicherheit
Tempo 30 ist offenbar sicherer als Tempo 50, weil Bremsweg und Kraftübertragung beim Aufprall beide sehr ungünstig von den zusätzlichen 20 km/h beeinflusst werden. Dazu gibt es zahlreiche Studien und Tempo 30 kann tatsächlich heute schon vor Schulen, Heimen, Kindergärten und Ähnlichem für die Sicherheit angeordnet werden.
Eine Einschränkung hat dieses Argument nur dadurch, dass wir heute durch Verkehrsinfrastruktur und -regeln einiges dafür tun, dass Verkehr auch bei Tempo 50 sicherer wird. LKW, die innerstädtisch rechts abbiegen, müssen dies (eigentlich) in Schrittgeschwindigkeit tun. Kreuzungen und Hauptverkehrsstraßen, die nach Radentscheid umgebaut werden, bieten Schutz für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen. Technische Lösungen wie Abbiegeassistenzsysteme, werden absehbar eine hohe Verbreitung finden.
Das Argument der Sicherheit wird also mit der Zeit ein wenig an Relevanz verlieren. Aus unserer Sicht aber wirklich nur ein wenig, weil jede Person, die im Straßenverkehr zu Tode kommt, eine zu viel ist. Tempo 30 wird immer einen Sicherheitsvorteil gegenüber Tempo 50 bieten.
Emissionen
Das Thema Emissionen ist mithin das vielschichtigste in dieser Debatte. Zum einen müssen wir unterscheiden zwischen globalen Emissionen, im wesentlichen der CO2-Ausstoß, der zum Antrieb der Fahrzeuge nötig ist und lokalen Emissionen wie Lärm, Feinstaub und Stickoxide. Zum anderen sind diese Emissionen unterschiedlich von der gefahrenen Geschwindigkeit abhängig. Als drittes unterscheiden sich diese Abhängigkeiten nochmal erheblich nach Antriebsart.
Ein PKW mit Verbrennungsmotor fährt sehr vereinfacht gesagt effizienter je höher der Gang und je niedriger die Drehzahl also grob geschätzt dann, wenn man gerade im höchsten Gang fahren kann. Das ist schneller als Tempo 50 und wesentlich schneller als Tempo 30, was teilweise dazu führt, dass ein PKW für eine feste Strecke weniger Treibstoff (und damit CO2-Ausstoß) braucht, wenn man 50 km/h fährt als mit 30 km/h. Luftwiederstand hat zumindest bei PKW in diesem Bereich oft zu wenig Einfluss auf den Energieaufwand, um das Verhältnis umzukehren. Für Verbrenner kommt der Ausstoß von Schadstoffen in Abgasen hinzu. Lokal betrachtet skaliert die Belastung allerdings mit der Anzahl der Fahrzeuge, weswegen ein ruhigerer Verkehr bei Tempo 30 heute schon in Aachen zur Luftreinhaltung genutzt wird.
Auch Lärm ist eine Emission und wir leider bisher zu wenig beachtet. Motorisierte Fahrzeuge erzeugen Lärm in der Stadt im wesentlichen durch Roll-, Wind- und Motorengeräusche. Motorengeräusche sind ähnlich dem Kraftstoffverbrauch stark von der Drehzahl des Motors abhängig und damit weniger klar auf die Geschwindigkeit zurückzuführen. Wind- und Rollgeräusche hingegen hängen stark und direkt von der Geschwindigkeit ab, werden aber in der Stadt oft von den (teilweise unnötig hohen) Motorengeräuschen übertönt.
Das Bild ist also unklar, denn sowohl Tempo 30 als auch Tempo 50 bringen bei unterschiedlichen Emissionen mehr oder weniger Vorteile. Dieser Satz gilt aber nur solange ein Verbrennungsmotor das Fahrzeug antreibt.
Sobald wir einen Elektromotor verwenden, fallen alle Vorteile von Tempo 50 bei Emissionen weg. Elektromotoren haben auf Grund der Bauart keinen Vorteil davon schneller als Tempo 30 oder gar Tempo 50 zu fahren, die Motorengeräusche sind vernachlässigbar und der lokale Schadstoffausstoß beschränkt sich auf Reifenpartikel. Dafür übernehmen Roll- und Windgeräusche, sowie Luftwiderstand plötzlich dominierende Positionen und die hängen alle mindestens linear von der Geschwindigkeit ab.
Wir wollen den Verkehr in Aachen elektrifizieren. Wir wollen das Verbrenner nach und nach an Bedeutung verlieren und nach 2025 nur noch in Ausnahmen in der Stadt verkehren. Wir müssen also für einen Verkehr planen, dessen CO2-Ausstoß, Lärm- und Schadstoffbelastung jeweils deutlich geringer bei Tempo 30 ausfällt.
Einheitlichkeit
Dinge kohärent und gleichförmig zu gestalten hat unterschätzte Vorteile. Wir setzt bei der Verkehrsplanung oft auf den Grundsatz der Einheitlichkeit, damit ähnliche Situationen immer auf die gleiche Art funktionieren. Das führt einerseits dazu, dass mehr Leute die Verkehrsregeln beachten, weil man sich weniger merken muss. Andererseits verringert sich der Stress und die Unfallgefahr, weil gut vorherzusehen ist, wo gerade andere Verkehrsteilnehmer*innen auftauchen können und wie diese sich wohl verhalten werden.
Bisher gilt in allen Deutschen Städten Tempo 50, das muss man nicht weiter ausschildern, ein Ortsschild reicht, alle wissen Bescheid. Das aufzugeben ist ein Schritt weg von Einheitlichkeit, plötzlich funktioniert das Ortsschild in Aachen anders als in Bielefeld.
Auf der anderen Seite gilt zwar in Aachen, wie in jeder Stadt heute Tempo 50, nur das eben die meisten Straßen entweder ein Streckengebot von Tempo 30 haben oder gleich Teil einer Tempo-30-Zone sind. Einheitlich ist das nicht und aufwändig auszuschildern obendrein.
Größer gefasst, könnte man auch die bundesweite Einheitlichkeit mit Tempo 30 wiederherstellen. Die geforderte Möglichkeit, dazu lokale Regeln erlassen zu dürfen, zielt eher darauf ab die Veränderung behutsam einzuführen. Eine bundesweite Vorschrift von Tempo 30 mit der Möglichkeit weiterhin auf einzelnen Strecken Tempo 50 zu erlauben, vereint den Vorteil von Einheitlichkeit mit der Option zunächst nichts vor Ort zu ändern.
Aber das geht doch schon/weiterhin!
Bei der Debatte um dieses Thema geht oft verloren, dass Tempo 30 heute schon auf fast jedem Kilometer Straße in Aachen die Höchstgeschwindigkeit ist. Die Veränderung die wir anstreben betrifft nur wenige Straßen. Bei diesen Straßen haben wir aber heute oft das Problem, dass diese durch Wohngebiete führen, Fahrbahnrandparken aufweisen oder aus anderen Gründen von den Verkehrspolitiker*innen im Mobilitätsausschuss eigentlich als Tempo 30 Strecke gesehen werden. Diese Einschätzung kann aber nicht umgesetzt werden, weil die Straße klassifiziert ist und der Gesetzgeber nur wenige Ausnahmen von Tempo 50 zulässt.
Auf der anderen Seite gilt dieses Argument natürlich in beide Richtungen. Denen, die hier ihr Fahrvergnügen bedroht sehen, sei ein Blick in den Aachener Schilderwald empfohlen, denn viele Tempo 50 Kilometer verlieren sie nicht. Es sind aber natürlich gerade die viel befahrenen Straßen, die heute noch Tempo 50 haben, die also überproportional viel Verkehr führen. Sie bieten damit auch bei verhältnismäßig wenig Strecke immer noch einen Hebel für die oben genannten Effekte.
Urbanes Leben
Das letzte Argument ist wohl das politischste. Tempo 30 ist aus unserer Sicht deutlich verträglicher für eine Stadt, die zuerst Lebensraum für ihre Bewohner*innen ist. Das fasst natürlich einerseits zusammen, was durch Sicherheit und Emissionen schon beschrieben wurde, geht aber darüber hinaus ins Grundsätzliche. Wem gehört die Stadt und wer ist hier zu Gast?
Die Ordnung des Straßenverkehrs in Deutschland schiebt alle und alles andere an den Rand, um Platz für den motorisierten Verkehr zu schaffen. Zwischen Gehwegen, die oft nicht einmal die Mindestbreite erreichen, spannend sich meterweite Asphaltflächen auf, auf denen der längere Aufenthalt für Menschen (ohne Fahrzeug) untersagt ist. Der Mensch ist hier zu Gast in einer Welt für die Autos. Die klare Regelung hat durchaus ihre Vorteile, gerade weil Verkehr sich nur mischen lässt, solange die Geschwindigkeiten nah bei einander liegen und die Verkehrsfläche nicht ausgelastet wird.
Doch unser Ziel ist es eine Stadt für die Menschen zu schaffen, wo das Leben Vorrang hat und der Verkehr sich öfter mal unterordnen muss. Dieses Ziel erfordert, dass sich das Bild davon, wofür unsere Stadt da ist, in den Köpfen ändert. Es reicht nicht, dass man das Ortsschild passiert und von 100 oder 70 auf 50 km/h bremst. Wir brauchen ein Verständnis dafür, dass man im PKW hier zu Gast ist, dass das eigenen Vorankommen hier nicht an erster Stelle stehen kann.
Für diese Erkenntnis ist eine Höchstgeschwindigkeit von Tempo 30 in der Stadt ein wichtiger Baustein, weil sie deutlich macht für wen die Stadt da ist. Natürlich muss ein solcher Wechsel sich fortsetzen in die Quartiere, wo die Straßen nur erschließen aber keinen Verkehr durchleiten sollen. Hier bieten sich Tempo 20 oder verkehrsberuhigte Bereiche an. Und die Stadtteilzentren sollten mit Fußgängerzonen und Grünfläche zum Flanieren und Verweilen einladen.
Fazit
Am Ende steht hier eine Abwägung zwischen Geschwindigkeit und Leistungsfähigkeit auf der einen sowie Sicherheit, Emissionsschutz und unser Ziel von urbanem Leben auf der anderen Seite. Es ist richtig, dass hierzu eine Debatte geführt wird und die Vor- und Nachteile realitätsnah diskutiert werden. Für uns gewinnen hier der Schutz von Mensch und Umwelt vor allem aber unsere Vision von einer Stadt als Lebensraum.
Eine Einschränkung hat das allerdings und die bezieht sich auf radiale Hauptverkehrsstraßen nach Hauptverkehrsstraßennetz der Stadt Aachen. Wir wollen auf diesen Strecken zunächst Tempo 50 beibehalten, sofern das heute die Höchstgeschwindigkeit ist und kein Fahrbahnrandparken existiert. Die Tempo 50 Strecken sollen aber explizit als Ausnahme ausgeschildert werden, auch damit man an allen anderen Straßen auf die Beschilderung mit Tempo 30 verzichten kann.
Zudem erwarten wir, dass ähnlich dem Hauptverkehrsstraßennetz für den motorisierten Verkehr auch ein Haupt-ÖPNV-Netz und ein Hauptradverkehrsnetz festgelegt wird, um möglichst viel Verkehr dort zu bündeln. Wir garantieren, dass die Stadt Aachen für alle erreichbar bleibt und wird. Aber diese Bedingung muss gleichrangig neben der Bedingung stehen, dass der notwendige Verkehr möglichst verträglich abgewickelt wird. Dieses Ziel erreichen wir nur durch weniger PKW.
Weitere Informationen
Ratsinformationssystem zum Hauptverkehrsstraßennetz: https://ratsinfo.aachen.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=17262
VCD zu Tempo 30: https://tempo30.vcd.org/informieren.html