Am 20.01.2016 findet im NRW-Ausschuss für Schule und Weiterbildung eine Anhörung zum Antrag der CDU-Landtagsfraktion statt: “Schulen in ihrer Ausrichtung auf berufliche Ausbildung stärken – Die duale Ausbildung fördern – Fachkräftemangel vor allem im technischen Bereich beheben”. Die Liste der Stellungnahmen ist lang und lässt sich hier einsehen.
Ich packe meine Stellungnahme mal ungefragt dazu:
Vorab
Der Antrag erzeugt bei mir Magengrimmen…
Schulen sind nach meiner Ansicht nicht primär dazu da, Arbeitnehmer zu produzieren, sondern aufgeschlossene, verständnisvolle, souveräne, kritische, verantwortungsbewusste, zuversichtliche und mündige junge Menschen am Ende ihrer Schullaufbahn in die oft komplizierte Erlebenswelt der Erwachsenen zu entlassen.
Wenn diese Ausbildung und Prägung gut funktionieren, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese jungen Menschen einen Beruf finden, der zu ihnen passt und bei dem sie Perspektiven sehen. Oder sie machen ihr eigenes Ding, das dann eben vielleicht auch nicht der “Return-of-Investment”-Denke von Bertelsmann-Stiftung oder Wirtschaftsverbänden entspricht.
Zu 1) Ausgangslage und Herausforderungen
Der Antrag der CDU spricht davon, dass “ein Master der Philosophie […] weder volkswirtschaftlich noch gesellschaftlich einen höheren Wert als ein Maschinen- und Anlagenführer oder Mikrotechnologe [hat], nur weil letztere nicht über einen Hochschulabschluss verfügen.”
Diese Formulierung der “Wertschätzung” eines Menschen auf Grund seiner Ausbildung finde ich stark befremdlich.
Bevor jemand meckert: Die Formulierung im Antrag ist in meinen Augen nicht so zu verstehen, dass die CDU prinzipiell gegen diese Art der Wertschätzung wäre, sondern sie rechnet nur verschiedene “Werte” gegeneinander auf.
Denn genau das macht die CDU in den weiteren Ausführungen: Sie stellt sozialwissenschaftliche Schulfächer geringer als die momentan so protegierten MINT-Fächer.
“Schülerinnen und Schüler aus Nordrhein-Westfalen sind bei der technischen Grundbildung gegenüber anderen Bundesländern deutlich im Nachteil. Während in Nordrhein-Westfalen Wert auf die sozialwissenschaftlichen Fächer gelegt wird, findet sich in anderen Bundesländern eine stärkere Betonung der technischen Grundbildung.
Schülerinnen und Schüler aus Nordrhein-Westfalen sind bei der technischen Grundbildung gegenüber anderen Bundesländern deutlich im Nachteil.”
Da wäre es dann also gut, dass wir die elektronische Gesundheitskarte bekommen, denn dann können junge Krankenschwestern und -pfleger ihre wertvollen schulischen Informatikkenntnisse einmal im Einsatz sehen…
Ein empathischer, umsichtiger und verantwortungsvoller Jugendlicher, der sich vielleicht selbst gut in der Alten- und Krankenpflege sehen könnte (würde man ihm diesen möglichen Weg aufzeigen), würde sich beim Unterrichtsfokus auf Elektronik und Programmierung wohl in der folgenden Situation wiederfinden:
- Keine Förderung seiner Neigungen und Interessen.
- Schwache Leistung in für ihn bedeutungslosen Fächern.
Was für Perspektiven hätte er wohl nach der Schule? Aber solange der Fokus auf MINT-Förderung liegt, scheint für die CDU ja alles in Butter zu sein.
Zu 2) Neujustierung des Verhältnisses von beruflicher und akademischer Bildung
Die CDU schreibt:
“Die Schulen haben die Aufgabe, die Jugendlichen so zu qualifizieren, dass sie nach der Schule eine Berufsausbildung ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprechend antreten können.”
Muss ich als Bildungspolitikneuling tatsächlich auf das NRW-Schulgesetz hinweisen? Wie traurig ist das denn, bitte?
Im Schulgesetz NRW § 2 (Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule) steht nur an sehr zurückhaltender Stelle in Absatz 2 etwas über berufliche Qualifizierung:
“Schülerinnen und Schüler werden befähigt, verantwortlich am sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, beruflichen, kulturellen und politischen Leben teilzunehmen und ihr eigenes Leben zu gestalten.”
Mehr nicht. Insofern steht die gesamte Schlussfolgerung, den Fokus der Schulbildung auf (technologische) Berufspraxisorientierung zu legen, auf mehr als tönernen Füßen.
Und generell halte ich nicht sehr viel vom im Antrag erwähnten NRW-Landesprogramm “Kein Abschluss ohne Anschluss (KAoA)”, da es mit so einem Humbug wie “Potenzialanalyse” für 14-Jährige genau den Fokus auf berufliche Qualifikation legt, die zu vermitteln vermeintlich die Aufgabe der Schule sei. Das steht nicht nur im krassen Widerspruch zur Gewichtung im Schulgesetz, sondern ermöglicht darüber hinaus Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, wirtschaftsnahen Stiftungen und privaten Trägern den Zugang zu Schulen und Schülern. Gelungener Lobbyismus unter der schützenden Hand des Bildungsministeriums. Chapeau!
Fazit
Es mag durchaus angehen, dass der Unterricht die Berufswahl der Schülerinnen und Schüler nicht so geschmeidig flankiert, wie es eigentlich angezeigt wäre. Jetzt aber eine Bevorzugung zu Gunsten einer anderen zurückzuschrauben, ist genau der verkehrte Weg; zumal, wenn man dann irgendwann nach wirtschaftspolitischem Interesse die nächste Schwerpunktsau durch die Klassenzimmer jagt.
Und selbst, wenn MINT jetzt das Maß aller Dinge sein soll:
Ich kenne den Geschäftsführer einer Aluminiumgießerei. Metallgießerei ist eines der ältesten komplexen Handwerke, das wir Menschen beherrschen, seit wir aufgehört haben, von Bäumen zu scheißen. Sein Problem ist, dass dieses Handwerk so gut wie keine Azubis mehr bekommt, weil es in der Rezeption der Schüler und Schülerinnen nicht mehr auftaucht. Entsprechend schwierig haben es diejenigen, die sich dieses Handwerk aussuchen, denn die schulische Ausbildung findet nicht mehr in der Region statt, weil sich so wenige Schulabgänger dafür interessieren… wir reden hier übrigens über einen hochpräzisen Gießprozess komplexer Werkstücke, der der gemeinen Fräs- und Dengelproduktion weit überlegen ist. Weiß nur keiner. Where is your MINT god now?!?
Schule ist kein selbstreferenzierendes, alltagsfernes Panopticon. Schule soll Möglichkeiten und Perspektiven aufzeigen, Neugier wecken und die Jugendlichen ihren Interessen und Fähigkeiten gemäß voranbringen. Dazu kann auch gehören, Unterrichtsinhalte in Bezug zu Tätigkeiten in verschiedenen Berufen zu setzen; das dann aber doch bitte mit Informationen aus unabhängigen, uneigennützigen und nicht gewinnorientierten Quellen. Das kann dann MINT sein, aber eben auch Sozialkunde, Ethik, Musik oder Sport; Themen also, die Programme wie KAoA, KURS, Check-In oder Schülerfirmen-Wettbewerbe mangels ROI kaum oder gar nicht auf dem Schirm haben.
Der Kampf um Köpfe gehört nicht in die Schule.
Am 20.01.2016 findet im NRW-Ausschuss für Schule und Weiterbildung eine Anhörung zum Antrag der CDU-Landtagsfraktion statt: “Schulen in ihrer Ausrichtung auf berufliche Ausbildung stärken – Die duale Ausbildung fördern – Fachkräftemangel vor allem im technischen Bereich beheben”. Die Liste der Stellungnahmen ist lang und lässt sich hier einsehen.
Ich packe meine Stellungnahme mal ungefragt dazu:
Vorab
Der Antrag erzeugt bei mir Magengrimmen…
Schulen sind nach meiner Ansicht nicht primär dazu da, Arbeitnehmer zu produzieren, sondern aufgeschlossene, verständnisvolle, souveräne, kritische, verantwortungsbewusste, zuversichtliche und mündige junge Menschen am Ende ihrer Schullaufbahn in die oft komplizierte Erlebenswelt der Erwachsenen zu entlassen.
Wenn diese Ausbildung und Prägung gut funktionieren, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese jungen Menschen einen Beruf finden, der zu ihnen passt und bei dem sie Perspektiven sehen. Oder sie machen ihr eigenes Ding, das dann eben vielleicht auch nicht der “Return-of-Investment”-Denke von Bertelsmann-Stiftung oder Wirtschaftsverbänden entspricht.
Zu 1) Ausgangslage und Herausforderungen
Der Antrag der CDU spricht davon, dass “ein Master der Philosophie […] weder volkswirtschaftlich noch gesellschaftlich einen höheren Wert als ein Maschinen- und Anlagenführer oder Mikrotechnologe [hat], nur weil letztere nicht über einen Hochschulabschluss verfügen.”
Diese Formulierung der “Wertschätzung” eines Menschen auf Grund seiner Ausbildung finde ich stark befremdlich.
Bevor jemand meckert: Die Formulierung im Antrag ist in meinen Augen nicht so zu verstehen, dass die CDU prinzipiell gegen diese Art der Wertschätzung wäre, sondern sie rechnet nur verschiedene “Werte” gegeneinander auf.
Denn genau das macht die CDU in den weiteren Ausführungen: Sie stellt sozialwissenschaftliche Schulfächer geringer als die momentan so protegierten MINT-Fächer.
Da wäre es dann also gut, dass wir die elektronische Gesundheitskarte bekommen, denn dann können junge Krankenschwestern und -pfleger ihre wertvollen schulischen Informatikkenntnisse einmal im Einsatz sehen…
Ein empathischer, umsichtiger und verantwortungsvoller Jugendlicher, der sich vielleicht selbst gut in der Alten- und Krankenpflege sehen könnte (würde man ihm diesen möglichen Weg aufzeigen), würde sich beim Unterrichtsfokus auf Elektronik und Programmierung wohl in der folgenden Situation wiederfinden:
Was für Perspektiven hätte er wohl nach der Schule? Aber solange der Fokus auf MINT-Förderung liegt, scheint für die CDU ja alles in Butter zu sein.
Zu 2) Neujustierung des Verhältnisses von beruflicher und akademischer Bildung
Die CDU schreibt:
Muss ich als Bildungspolitikneuling tatsächlich auf das NRW-Schulgesetz hinweisen? Wie traurig ist das denn, bitte?
Im Schulgesetz NRW § 2 (Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule) steht nur an sehr zurückhaltender Stelle in Absatz 2 etwas über berufliche Qualifizierung:
Mehr nicht. Insofern steht die gesamte Schlussfolgerung, den Fokus der Schulbildung auf (technologische) Berufspraxisorientierung zu legen, auf mehr als tönernen Füßen.
Und generell halte ich nicht sehr viel vom im Antrag erwähnten NRW-Landesprogramm “Kein Abschluss ohne Anschluss (KAoA)”, da es mit so einem Humbug wie “Potenzialanalyse” für 14-Jährige genau den Fokus auf berufliche Qualifikation legt, die zu vermitteln vermeintlich die Aufgabe der Schule sei. Das steht nicht nur im krassen Widerspruch zur Gewichtung im Schulgesetz, sondern ermöglicht darüber hinaus Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, wirtschaftsnahen Stiftungen und privaten Trägern den Zugang zu Schulen und Schülern. Gelungener Lobbyismus unter der schützenden Hand des Bildungsministeriums. Chapeau!
Fazit
Es mag durchaus angehen, dass der Unterricht die Berufswahl der Schülerinnen und Schüler nicht so geschmeidig flankiert, wie es eigentlich angezeigt wäre. Jetzt aber eine Bevorzugung zu Gunsten einer anderen zurückzuschrauben, ist genau der verkehrte Weg; zumal, wenn man dann irgendwann nach wirtschaftspolitischem Interesse die nächste Schwerpunktsau durch die Klassenzimmer jagt.
Und selbst, wenn MINT jetzt das Maß aller Dinge sein soll:
Ich kenne den Geschäftsführer einer Aluminiumgießerei. Metallgießerei ist eines der ältesten komplexen Handwerke, das wir Menschen beherrschen, seit wir aufgehört haben, von Bäumen zu scheißen. Sein Problem ist, dass dieses Handwerk so gut wie keine Azubis mehr bekommt, weil es in der Rezeption der Schüler und Schülerinnen nicht mehr auftaucht. Entsprechend schwierig haben es diejenigen, die sich dieses Handwerk aussuchen, denn die schulische Ausbildung findet nicht mehr in der Region statt, weil sich so wenige Schulabgänger dafür interessieren… wir reden hier übrigens über einen hochpräzisen Gießprozess komplexer Werkstücke, der der gemeinen Fräs- und Dengelproduktion weit überlegen ist. Weiß nur keiner. Where is your MINT god now?!?
Schule ist kein selbstreferenzierendes, alltagsfernes Panopticon. Schule soll Möglichkeiten und Perspektiven aufzeigen, Neugier wecken und die Jugendlichen ihren Interessen und Fähigkeiten gemäß voranbringen. Dazu kann auch gehören, Unterrichtsinhalte in Bezug zu Tätigkeiten in verschiedenen Berufen zu setzen; das dann aber doch bitte mit Informationen aus unabhängigen, uneigennützigen und nicht gewinnorientierten Quellen. Das kann dann MINT sein, aber eben auch Sozialkunde, Ethik, Musik oder Sport; Themen also, die Programme wie KAoA, KURS, Check-In oder Schülerfirmen-Wettbewerbe mangels ROI kaum oder gar nicht auf dem Schirm haben.
Der Kampf um Köpfe gehört nicht in die Schule.